„Ich kann mein Team doch nicht hängen lassen...!“ - Warum es uns so schwer fällt, unserer Arbeit Grenzen zu setzen: Unterschied zwischen den Versionen

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(„Ich kann mein Team doch nicht hängen lassen...!“)
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Dass wir so produktiv, effektiv und gut arbeiten wie nie zuvor – dagegen ist wie gesagt ei-gentlich nichts einzuwenden! Aber bisher arbeiten wir vor allem gut für das Unternehmen , nicht für uns. Denn überlange Arbeitszeiten und der hohe, vor allem psychische Druck, der durch die „Ich-Wir-Struktur“ in den Teams entsteht, machen uns zunehmend krank. Auch unser Privatleben und unsere Freizeit leidet oft darunter. Wir müssen also erst noch lernen, mit der Unternehmerfunktion so umzugehen, dass sie sich nicht gegen uns wendet. Wir müssen die Mechanismen der indirekten Steuerung besser verstehen und sie uns an unserem Ar-beitsplatz immer wieder bewusst machen. Wir brauchen eine realistische Einschätzung der Zeit, die wir wirklich für bestimmte Tätigkeiten benötigen. Das würde uns ermöglichen, bei Projekten Verhandlungen zu führen, bei denen wir uns nicht durch völlig unrealistische Zeit-vorgaben unter Druck setzen (lassen). Dann können wir auch Forderungen nach ausreichend Personal und Budget stellen, weil wir am besten wissen, was wir benötigen, um gut zu arbei-ten! All diese Lernprozesse können wir nicht alleine als Einzelne machen, sondern nur gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen.
 
Dass wir so produktiv, effektiv und gut arbeiten wie nie zuvor – dagegen ist wie gesagt ei-gentlich nichts einzuwenden! Aber bisher arbeiten wir vor allem gut für das Unternehmen , nicht für uns. Denn überlange Arbeitszeiten und der hohe, vor allem psychische Druck, der durch die „Ich-Wir-Struktur“ in den Teams entsteht, machen uns zunehmend krank. Auch unser Privatleben und unsere Freizeit leidet oft darunter. Wir müssen also erst noch lernen, mit der Unternehmerfunktion so umzugehen, dass sie sich nicht gegen uns wendet. Wir müssen die Mechanismen der indirekten Steuerung besser verstehen und sie uns an unserem Ar-beitsplatz immer wieder bewusst machen. Wir brauchen eine realistische Einschätzung der Zeit, die wir wirklich für bestimmte Tätigkeiten benötigen. Das würde uns ermöglichen, bei Projekten Verhandlungen zu führen, bei denen wir uns nicht durch völlig unrealistische Zeit-vorgaben unter Druck setzen (lassen). Dann können wir auch Forderungen nach ausreichend Personal und Budget stellen, weil wir am besten wissen, was wir benötigen, um gut zu arbei-ten! All diese Lernprozesse können wir nicht alleine als Einzelne machen, sondern nur gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen.
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(vgl dazu auch das Buch [http://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/das-unternehmerische-wir/ Das unternehmerische WIR - Formen der indirekten Steuerung in Unternehmen].

Version vom 14. Dezember 2014, 14:36 Uhr

„Ich kann mein Team doch nicht hängen lassen...!“

Warum es uns so schwer fällt, unserer Arbeit Grenzen zu setzen

Eva Bockenheimer und Daniel Göcht

Initiative „Meine Zeit ist mein Leben“


Wir arbeiten heute so produktiv und effektiv wie nie zuvor. Unsere Arbeit organisieren wir zunehmend selbst und „schmeißen den Laden“. Die neue Selbständigkeit in der Arbeit macht oft Spaß und viele machen ihren Job gern. Eigentlich wäre das alles ein Grund, stolz und zu-frieden zu sein. Wenn da nicht ein Problem wäre: Vielen von uns fällt es schwer, der eigenen Arbeit Grenzen zu setzen! Die Arbeitsdichte, die Arbeitszeiten und der Stress haben enorm zugenommen. Die meisten von uns arbeiten weit über das gesunde Maß und die tariflich ver-einbarten Zeiten hinaus. Und das ganz „von selbst“, ohne dass der Arbeitgeber längere Ar-beitszeiten vorschreiben müsste. Selbst wenn wir merken, dass wir unsere Arbeitszeit auf Kosten unserer Freizeit und unserer Gesundheit überziehen, ist es sehr schwer, einfach „Nein“ zu sagen und nach Hause zu gehen.

Die Schwierigkeit, der Arbeit Grenzen zu setzen scheint bloß ein Problem der einzelnen Beschäftigten zu sein. In Wirklichkeit werden aber vom Management Bedingungen geschaffen, die es uns enorm erschweren, unsere Arbeitszeiten einzuhalten. Aber wie schafft das Mana-gement das?

Früher standen die Arbeitgeber und ihr Management zwischen den Beschäftigten und dem Markt und steuerten direkt: Sie sagten den Beschäftigten, was zu tun ist und kontrollierten sie in ihrer Arbeit. Diese Form der Arbeitsorganisation nennt man auch „System von Befehl und Gehorsam“. Man hatte klare Hierarchien und Arbeitsanweisungen. Heutzutage steuern die Arbeitgeber dagegen indirekt: Sie treten aus der Mittelstellung zwischen Beschäftigten und Markt heraus. Die Beschäftigten sollen sich nun selbst am Markt orientieren und die Unter-nehmerfunktionen übernehmen. Das tun sie jedoch nicht als Einzelne, sondern in organisierten Einheiten: In Teams, Profitcentern, teilautonomen Unternehmenseinheiten etc. Diesen organisierten Einheiten gibt man nicht mehr direkte Anweisungen, sondern man steuert sie indirekt, indem man die Bedingungen einrichtet, unter denen sie arbeiten. Diese „Indirekte Steuerung“ wendet sich nicht mehr an das Bewußtsein der Beschäftigten, sondern steuert sie über Prozesse, die ihnen unbewusst bleiben. Damit sich die Teams, die Business-Units usw. wie von selbst für das entscheiden, was aus Sicht der Unternehmensführung am besten, d.h. am profitabelsten ist, wird hierfür eine entsprechende „Umwelt“ geschaffen. Dafür gibt es verschieden Maßnahmen. Eine wesentliche Maßnahme ist, im Unternehmen zwischen den Abteilungen, Teams, Standorten, Schichten etc. Konkurrenz zu erzeugen – denn Konkurrenz belebt das Geschäft! Im Management-Jargon wird das „Coopetition“ genannt, eine Zusam-mensetzung von „Cooperation“ (Zusammenarbeit) und „Competition“ (Wettbewerb). Man organisiert die Zusammenarbeit also als Konkurrenz. Ein bekanntes Beispiel sind Mediamarkt und Saturn, die sich bis auf das Messer bekämpfen – immer für die dieselbe Tasche: den Met-rokonzern. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Entwicklung von Kennzahlen, die den Beschäftigten ständig verdeutlichen, wie sie unternehmerisch aufgestellt sind und entspre-chend Druck erzeugen, sich kontinuierlich zu verbessern. Um sicherzustellen, dass die Be-schäftigen auch ihre unternehmerischen Ziele erreichen wollen, führt man Prämiensysteme ein – am besten für die Teamleistung, damit die Teammitglieder gegenseitig kontrollieren, ob auch jede/r zum Unternehmenserfolg beiträgt. Restrukturierungsmaßnahmen sorgen bei den Beschäftigten für Verunsicherung. Damit bezweckt man, dass sie sich immer wieder fragen, was sie eigentlich tun müssen, um die Gewinne zu steigern. Knappe Budgets und geringe Per-sonaldecken führen dazu, dass alle versuchen, alles zu geben. Denn aus der Arbeits- und Or-ganisationspsychologie weiß man: Teams arbeiten dann am produktivsten und effektivsten, wenn die Aufgabe immer etwas größer ist als die Kräfte der Gruppe – wenn sich nur alle ge-genseitig dabei unterstützen, es dennoch zu schaffen. Solche Maßnahmen funktionieren in der Produktion genauso wie im indirekten Bereich.

Man weiß also: Was die Beschäftigten wollen, hängt von den Bedingungen ab, unter denen sie diese Entscheidung treffen. Als Beschäftigte kommen wir durch die „Indirekte Steuerung“ in eine Doppelrolle: Wir sind abhängig Beschäftigte und nehmen zugleich gemeinsam Unter-nehmerfunktionen wahr. Wir müssen gleichzeitig beide Rollen wahrnehmen, sind aber zwi-schen ihnen hin- und hergerissen: ‚Wir’ gemeinsam als Team, als Business-Unit, als Profit-center haben die Unternehmerfunktion, aber ‚ich’, ‚du’, ‚er’, ‚sie’, ‚es’ – dieselben ‚wir’, aber als Einzelne – müssen umsetzen, was „wir gemeinsam“ beschlossen haben. Diese „Ich-Wir-Struktur“ bleibt uns unbewusst und treibt uns dazu an, länger zu arbeiten als tariflich erforder-lich. Schließlich möchten wir das Team nicht hängen lassen, denn umgekehrt fordern auch wir von den anderen den erforderlichen Beitrag zum Teamerfolg ein. Bei der Arbeitszeit kommt noch ein besonderes Problem hinzu: Der Unterschied nämlich zwischen den Zeitplänen, die man vorher macht und der Arbeitszeit, die man dann wirklich benötigt. Wir versuchen z.B. einen Auftrag zu bekommen – der Liefertermin ist dabei entscheidend. Um in der Konkurrenz mit anderen Anbietern zu bestehen, machen wir straffe Terminzusagen, die nur unter optimalen Bedingungen eingehalten werden können. Sie sind – wie alle unternehmerischen Vorgaben –bloß theoretische Pläne und erweisen sich in der Praxis meist als unrealistisch. Wir wissen das unterschwellig, und planen unsere Freizeit und die der Kolleginnen und Kollegen mit ein. Und wir setzen das mit dem Druck der Gruppe – frei nach dem Motto „Das Wir entscheidet“ – gegeneinander durch. So werden Gruppenprozesse in den Teams von der Unternehmensleitung genutzt, um die Arbeitszeiten über die tariflich vereinbarten Zeiten hin-aus zu verlängern.

Viele zusätzliche Anforderungen in unserer Arbeit erscheinen uns als zufällig. Es ist nicht immer leicht zu sehen, dass sie durch Management-Maßnahmen entstanden sind. Denn meis-tens sind es Anforderungen, die z.B. von Kollegen, Kunden oder Lieferanten an uns gestellt werden. Ein Beispiel ist die zu dünne Personaldecke, die immer wieder dazu führt, dass sich Kolleginnen und Kollegen darum bitten, füreinander einzuspringen. Besser ist es, da mitzu-machen, weil man vielleicht selbst einmal vertreten werden muss. Oder: Das Unternehmen spart sich die Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und setzt darauf, dass die erfahrenen Kolleginnen und Kollegen dies nebenbei mit übernehmen, weil sie die Neuen nicht hängen lassen wollen. Oder: Kundenanfragen gehen direkt an die Beschäftigten, statt zentral bearbeitet zu werden. An Beispielen mangelt es nicht. Geschickte Führungskräfte wissen den Beschäftigten auf diese Weise erheblich mehr Arbeitszeit zu entlocken, als vertraglich vereinbart – Arbeitszeit, die oft weder erfasst noch vergütet wird. Häufig ist es uns gar nicht bewusst, dass es sich um Arbeitszeit handelt: Wenn wir z.B. abends, am Wochenende oder sogar im Urlaub noch „kurz“ eine dringende Frage per Email beantworten.

Dass wir so produktiv, effektiv und gut arbeiten wie nie zuvor – dagegen ist wie gesagt ei-gentlich nichts einzuwenden! Aber bisher arbeiten wir vor allem gut für das Unternehmen , nicht für uns. Denn überlange Arbeitszeiten und der hohe, vor allem psychische Druck, der durch die „Ich-Wir-Struktur“ in den Teams entsteht, machen uns zunehmend krank. Auch unser Privatleben und unsere Freizeit leidet oft darunter. Wir müssen also erst noch lernen, mit der Unternehmerfunktion so umzugehen, dass sie sich nicht gegen uns wendet. Wir müssen die Mechanismen der indirekten Steuerung besser verstehen und sie uns an unserem Ar-beitsplatz immer wieder bewusst machen. Wir brauchen eine realistische Einschätzung der Zeit, die wir wirklich für bestimmte Tätigkeiten benötigen. Das würde uns ermöglichen, bei Projekten Verhandlungen zu führen, bei denen wir uns nicht durch völlig unrealistische Zeit-vorgaben unter Druck setzen (lassen). Dann können wir auch Forderungen nach ausreichend Personal und Budget stellen, weil wir am besten wissen, was wir benötigen, um gut zu arbei-ten! All diese Lernprozesse können wir nicht alleine als Einzelne machen, sondern nur gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen.


(vgl dazu auch das Buch Das unternehmerische WIR - Formen der indirekten Steuerung in Unternehmen.