„Was macht eigentlich unsere Führungskraft?!“ - Wie sich das Führungsverhalten durch neue Unternehmenskonzepte verändert hat: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 14. Dezember 2014, 14:39 Uhr
„Was macht eigentlich unsere Führungskraft?!“
Wie sich das Führungsverhalten durch neue Unternehmenskonzepte verändert hat
Eva Bockenheimer, Daniel Göcht und Stephan Siemens
Initiative „Meine Zeit ist mein Leben“
Viele von uns fragen sich in ihrem Arbeitsalltag immer häufiger, was eigentlich ihre Führungskraft macht und wofür sie überhaupt noch da ist. Denn das, was man in der Regel von einer Führungskraft erwartet, tut sie jedenfalls kaum noch oder sogar gar nicht mehr: Klare Anweisungen geben, bei Konflikten einschreiten, sich mit fachlicher Kompetenz einbringen, uns bei der Arbeit unterstützen und Entscheidungen für die Abteilung oder das Team treffen. Meistens müssen wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Team alles selber regeln und die volle Verantwortung auch in Konflikt- oder Krisensituationen übernehmen. Die Führungskraft ist zwar offiziell noch Ansprechpartner, aber steht in den seltensten Fällen wirklich zur Verfügung. Manchmal ist nicht einmal geklärt, wer denn eigentlich offiziell die Verantwortung hat.
So könnte man auf die Idee kommen – und viele Kolleginnen und Kollegen sagen das auch – dass unsere Führungskräfte unfähig sind, sich vor ihrer Verantwortung drücken, nur Chaos produzieren und keine Ahnung von der Materie haben. Betrachtet man die Sache so, übersieht man jedoch, dass sich aus Sicht des Unternehmens die Aufgaben von Führungskräften grundlegend gewandelt haben. Das liegt an der Veränderung in der Arbeitsorganisation insgesamt. Heute steuert man die Beschäftigten nicht mehr direkt, indem man ihnen sagt, was sie zu tun haben. Vielmehr steuert man indirekt, indem man die Arbeitsbedingungen so einrichtet, dass die Beschäftigten sich möglichst selbständig um die Gewinnsteigerung des Unternehmens kümmern. Früher traten die Unternehmer und das höhere Management zwischen den Markt und die Beschäftigten. Heute treten sie aus dieser Mittelstellung heraus, damit die Beschäftigten sich selbst am Markt orientieren und die Unternehmerfunktion als Teams, Profitcenter oder teilautonome Unternehmenseinheiten übernehmen.
Damit das funktioniert, müssen sich auch die Führungskräfte heute anders verhalten als früher. Ihre Hauptaufgabe ist jetzt nicht mehr, selbst die Führungsrolle zu übernehmen, sondern dafür zu sorgen, dass Führung im Team entseht. Dahinter steht die Überzeugung heutiger Managementtheoretiker: Führen kann jede/r! Wem im Team gerade die Führungsrolle zufällt, hängt demnach z.B. von der jeweiligen Aufgabe, dem Ziel, der Situation und der aktuellen Arbeitsbelastung der Teammitglieder ab. So kann die Führungsrolle unter den Teammitgliedern regelmäßig wechseln und ist nicht mehr an eine bestimmte Person gebunden. Jeder und jede vertritt abwechselnd gegenüber den Kolleginnen und Kollegen im Team das Unternehmensinteresse. Dabei darf die Führungskraft nicht mehr in die Teamprozesse eingreifen, sondern sie muss die Rahmenbedingungen (von Managementtheoretikern „Umwelten“ genannt) so einrichten, dass die Teammitglieder jeweils Führungsaufgaben im Team übernehmen wollen und auch müssen.
Zu solchen Rahmenbedingungen oder „Umwelten“ gehört z.B., dass sie die Teammitglieder mit Kennzahlen konfrontiert, an denen sie sehen können, ob sie ihre Ziele erreicht haben. Besonders effektiv ist es aus Sicht der Führungskräfte, wenn diese Kennzahlen mit Teamprämien verknüpft werden – so hat jede und jeder ein Interesse an der Leistung der anderen und die Kolleginnen und Kollegen beginnen, sich gegenseitig zu kontrollieren. Auch die Bemessung des Budgets und der Personaldecke ist Teil der „Umwelt“, die die Führungskraft schafft. Beides wird möglichst knapp gehalten, denn aus der Arbeits- und Organisationspsychologie weiß man, dass gerade unter solch schwierigen Voraussetzungen alle alles geben. Gesteigert wird der Druck noch dadurch, dass man Teams, Abteilungen oder Unternehmenseinheiten in Konkurrenz zueinander setzt – die Zusammenarbeit im Unternehmen wird also als Konkurrenz organisiert.
Aufgabe der Führungskraft ist nicht mehr wie früher, den Beschäftigten den Weg zu zeigen, wie die gewünschten Ergebnisse erreicht werden. Das Motto ist eher: Tut was ihr wollt, aber seid profitabel! Die Führungskraft hat nur noch die Ergebnisse zu kontrollieren und die Beschäftigten damit zu konfrontieren. Hierzu dienen Zielvereinbarungen und Leistungsbeurteilungen, die die Team- und Einzelleistung betreffen und Druck auf alle Teammitglieder aufbauen sollen.
Um den Erfolg zu steigern, soll die Führungskraft ein „Wir-Gefühl“ im Team erzeugen. Aber dieses soll auf den Unternehmenszweck hin orientiert sein. Ein „Wir-Gefühl“ im Sinne des Managements bemisst sich danach, wie groß die Macht der Gruppe über die Einzelnen ist, d.h. wie sehr die Gruppe von jedem Einzelnen unternehmerisches Verhalten einfordert. Ein solches „Wir-Gefühl“ (auch „Kohäsion“ genannt) wird vor allem durch Druck von außen erzeugt, indem die Aufgabe immer etwas größer ist als die Kraft des Teams. Wenn sich die Kolleginnen und Kollegen gegenseitig unterstützen, ihre Freizeit aufwenden und die Arbeitsabläufe verbessern, werden sie die Aufgabe dennoch schaffen. Die Führungskraft hat nun die Aufgabe, die Erwartungen an das Team regelmäßig zu erhöhen oder aber das Team zu verkleinern. Beides trägt zu einer enormen Arbeitsverdichtung bei. Unerwünscht allerdings ist ein „Wir-Gefühl“, in dem die Teammitglieder in ihren persönlichen Interessen zusammenhalten und wirklich solidarisch sind, z.B. gemeinsam mehr Personal einfordern. In einem solchen Fall kann die Führungskraft z.B. durch Restrukturierungsmaßnahmen reagieren, wodurch gewachsene Teamstrukturen, in denen sich persönliche Solidarität entwickelt, immer wieder zerstört werden. Das schafft nicht nur Unsicherheit bei allen Beteiligten, sondern erinnert die Teammitglieder auch immer wieder daran, dass ihre Hauptaufgabe sein soll, sich auf den Unternehmenszweck zu konzentrieren. Was viele als chaotische und unnötige Umstrukturierung erleben, erfüllt aus Sicht der Unternehmen also durchaus seinen Zweck.
Zu den Aufgaben der Führungskraft gehört auch die Organisierung von zufällig erscheinenden zusätzlichen Anforderungen. So müssen wir regelmäßig Aufgaben von Kolleginnen und Kollegen übernehmen, die „zufällig“ gerade in Urlaub, in Elternzeit oder krank sind. Eigentlich könnte und müsste für solche Abwesenheit zusätzliches Personal eingeplant werden, denn sie kündigen sich zum Teil langfristig an und kommen mit großer Regelmäßigkeit vor. Mit der bewusst knapp gehaltenen Personaldecke, die keineswegs „Zufall“ ist, sondern zu den gesetzten Rahmenbedingungen gehört, ist die anfallende Arbeit nur im Idealfall zu bewältigen. Man verlässt sich aber darauf, dass die Kolleginnen und Kollegen die Arbeit auch mit zu wenig Personal erledigen und tut so, als seien diese Abwesenheiten völlig unvorhersehbar.
Da die Führungskräfte nicht direkt einfordern, dass man diese Aufgaben zusätzlich übernimmt, sondern sie uns wie von selbst zufallen, entstehen jetzt viele Konflikte im Team, die man früher mit der Führungskraft hatte: So ist man verärgert, dass ein Kollege schon wieder „krank feiert“, die Kollegin „ständig im Urlaub ist“, statt sich gemeinsam im Team mit der zu dünnen Personaldecke auseinanderzusetzen. Auch durch Kunden und Lieferanten werden Zusatzaufgaben formuliert, die man schwer zurückweisen kann. Führungskräfte sorgen deshalb dafür, dass die Teams in möglichst direktem Kontakt mit ihnen stehen. Da die Unternehmensleitung will, dass die Beschäftigten im Team möglichst selbständig die Unternehmerfunktion übernehmen und sich dabei selbst führen, braucht man also ein anderes Führungsverhalten. Der „alte“ Führungsstil wäre dafür gerade hinderlich: Klare Anweisungen und Entscheidungen würden die Beschäftigten davon entlasten, sich selbst zu fragen, wie sie möglichst hohe Gewinne erzielen können. Eine Führungskraft, die durch fachlich-sachliche Kompetenz in schwierigen Situationen helfend eingreifen kann, hätte größere Schwierigkeiten, sich herauszuhalten und das Problem an die Teams zurückzugegeben. Deshalb setzt man heute gerne Führungskräfte ein, die sich nicht mit den konkreten Arbeitsabläufen im Unternehmen auskennen, sondern hauptsächlich mit den neuen Managementmethoden. Anders als früher sind sie oft nicht „im Unternehmen groß geworden“, sondern werden von außen geholt und bleiben auch nur wenige Jahre in der gleichen Position. Daher kommt es auch, dass häufig junge Universitätsabgänger in Führungspositionen eingesetzt werden. Wenn man meint, sie hätten keine Ahnung, misst man sie an den alten Aufgaben einer Führungskraft. Sie sind sehr gut geschult, aber in etwas anderem als früher: Darin nämlich, das Team dazu zu bringen, sich selbst zu führen.
Je besser wir verstehen, dass sich mit den neuen Arbeitsorganisationsformen auch das Führungsverhalten notwendig verändert hat, desto eher können wir uns erfolgreich im Team mit solchen Führungskräften auseinandersetzen, statt uns wechselseitig in Konkurrenz setzen zu lassen. Dadurch können wir uns gemeinsam gegen bewusst gesetzte, schlechte Rahmenbedingungen wehren und unsere Arbeitsbedingungen selbstbewusst mitgestalten.