Diskussion um indirekte Steuerung? Eine Antwort auf Klaus Peters
Klaus Peters und das Buch „Das unternehmerische Wir“
Eine Antwort
Klaus Peters hat das Buch „Das unternehmerische Wir“ einer Kritik unterzogen, was ich sehr begrüße. Auf diese Weise kann man Positionen klären, Fragestellungen entwickeln und voneinander lernen. Die sachliche Auseinandersetzung und damit die gemeinsamen Lernprozesse, die durch eine Kritik möglich sind, stehen dabei im Vordergrund stehen. So entstehen aus der Kritik neue Lernprozesse. (Diese Ausführung beschränkt sich auf die wichtigsten Punkte und lässt viele Fragen, die nicht zum Kern der Debatte gehören, weg. Sollte sich eine angemessene Diskussion entwickeln, so wird es richtig sein, auch auf diese Punkte einzugehen.)
1. In dem Buch „Das unternehmerische Wir“ geht es nicht um den Begriff der „indirekten Steuerung“, sondern um Formen der Umsetzung im Unternehmen. Die Fragestellung lautet: Mit Hilfe welcher Mechanismen setzen die Unternehmensleitungen die indirekte Steuerung im Unternehmen durch?
2. Für eine dieser Formen wird im Buch der Begriff „Ich-Wir-Struktur“ geprägt. Diese Bezeichnung soll darauf hinweisen, dass wir selbst es sind, die die Dynamik in den Teams in unserem Handeln umsetzen. Es wird deswegen nicht – wie von Klaus Peters – der Begriff „Gruppendynamik“ gebraucht. Denn die Gruppendynamik ist ein Begriff derjenigen, die sich der Beobachtung und der äußerlichen Beeinflussung der Gruppenprozesse verschrieben haben. Gruppendynamik ist ein Begriff, der gerade nicht aus der Perspektive der handelnden Gruppenmitglieder formuliert ist, deren Handeln dem Betrachter als Umsetzung der Gruppendynamik erscheint. (Es liegt daher im Begriff der Gruppendynamik, dass sie von den Mitgliedern der Gruppe nicht beherrscht werden kann.) Im Buch sollte dagegen die Perspektive der Mitglieder der Gruppe eingenommen werden, deren Handeln es ist, was der Beobachter betrachtet. Denn im Buch geht es darum, dieses Handeln als das eigene Handeln der Kolleginnen und Kollegen zu begreifen und zu lernen, wie die Kolleginnen und Kollegen diese Prozesse gemeinsam in die eigenen Hände bekommen können. Mit anderen Worten: Es geht darum, das eigene Handeln beherrschen zu lernen.
3. Damit folgt das Buch einem Ansatz von Klaus Peters. Er hat in dem Aufsatz „Die neue Autonomie in der Arbeit“ herausgearbeitet, dass die Autonomie, von der im Rahmen der indirekten Steuerung die Rede ist, nicht etwa die Autonomie der arbeitenden Individuen ist, sondern die Autonomie der Prozesse, denen die Individuen bei der Arbeit unterworfen sind. Im Buch „Das unternehmerische Wir“ wird diese Position aufgegriffen: Das Team wird als eine der Formen analysiert, in denen diese Autonomie der Prozesse sich darstellt. Es war nicht die Absicht des Buches, eine neue Theorie aufzustellen, sondern diese Autonomie der Prozesse an einem wesentlichen Punkt der Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen zu analysieren. 4. Überdies sollte in dem Buch aufgezeigt werden, dass diese Autonomie der Prozesse (freilich nicht in diesen Worten) von den Unternehmen und den Vertretern der Gruppendynamik bewusst gesteuert und eingesetzt wird. Die Arbeits- und Organisationspsychologie ist ein Beispiel dafür, wie bewusst die Wissenschaften und die Unternehmen die Beziehungen der Kolleginnen und Kollegen instrumentalisieren, um sie zu steuern, also den Herrschaftszweck des Unternehmens in der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen umzusetzen. Mittels einer Teamanalyse – so wird vorgeschlagen – könnten sich die Kolleginnen und Kollegen die konkreten Wirkungen dieser Steuerungsformen bewusstmachen und damit umzugehen lernen. Sie können sich – so die Überlegung – dadurch zugleich ihre Beziehungen aneignen und sie dem Arbeitgeber als Mittel aus der Hand schlagen, sie indirekt zu steuern. Dazu sagt Klaus Peters: „Der ‚linke Theoretiker‘ soll bitteschön die Geduld aufbringen und abwarten, was dabei herauskommt, wenn Menschen im Unternehmen anfangen kritisch über indirekte Steuerung nachzudenken – und sie sollen bitte der Versuchung widerstehen, in persönliche Beziehungen anderer Menschen hineinpfuschen zu wollen oder diese anderen Menschen zu solcher Hineinpfuschung ermuntern zu wollen.“ a. Tatsächlich ruft das Buch „Das unternehmerische Wir“ nicht zum Abwarten auf, sondern es geht davon aus, dass die Kolleginnen und Kollegen handeln müssen, wenn sich etwas zu ihren Gunsten ändern soll. Das Buch geht nicht davon aus, dass es die Aufgabe der Gewerkschaften ist – und ausschließlich an die Gewerkschaften wendet sich das Buch – abzuwarten, bis sich aufgrund des Begreifens etwas von selbst ändert. Es geht im Gegenteil davon aus, dass es Aufgabe der Gewerkschaften ist, Eingriffsmöglichkeiten zu bestimmen und zu nutzen. b. Nicht „linke Theoretiker“ pfuschen in die persönlichen Beziehungen hinein, sondern Unternehmensleitungen. Es geht nicht darum, hineinzupfuschen, sondern darum, dass die Kolleginnen und Kollegen sich gegen diese „Hineinpfuschung“ durch den Arbeitgeber zur Wehr setzen. Wer so tut, als ob der „linke Theoretiker“ hineinpfuschen wolle, verschleiert, dass die Unternehmensleitungen das tun. Nach der Lektüre des Buches „Das unternehmerische Wir“ kann man das nicht mehr guten Gewissens tun. Es geht nicht um Hineinpfuschen, sondern um die Abwehr von tatsächlich stattfindendem Hineinpfuschen. c. Es sollen nicht andere in die Beziehungen der Kolleginnen und Kollegen „hineinpfuschen“. Vielmehr sollen sie selbst lernen, die Prozesse, die sich zwischen ihnen abspielen, zu erkennen, zu bearbeiten und nach und nach zu beherrschen. Dem Argument von Klaus Peters, dass das aus logischen Gründen gar nicht möglich sei, folgen die Unternehmensleitungen ebenso wenig wie die Arbeits- und Organisationspsychologie. Beide verlangen nämlich von den Kolleginnen und Kollegen, dass sie ihr Verhalten zueinander bei der Zusammenarbeit am Unternehmenszweck ausrichten und in der Teamarbeit reflektieren, wie gut ihnen das gelingt. In den Unternehmen wird daher eine entsprechende Fähigkeit teils verlangt, teils entwickelt. Aber die Entwicklung dieser Fähigkeit wird – aufgrund der Autonomie der Prozesse – auf den Unternehmenszweck beschränkt. Dagegen geht es im Buch „Das unternehmerische Wir“ darum, diese vom Unternehmen verlangte und geforderte Fähigkeit auch auf die Durchsetzung der eigenen gesundheitlichen Bedürfnisse und die eigenen Rechte und Interessen zu übertragen. Es wäre der Begründung bedürftig, warum das – was im Dienste des Unternehmens möglich ist – im Dienste der eigenen Interessen nicht möglich sein soll. d. In dem Aufsatz „Die neue Autonomie in der Arbeit“ wird von Klaus Peters entwickelt, dass die „Autonomie der Prozesse“ und die Autonomie der Individuen sich gegenseitig ausschließen. Daraus ergibt sich für das Buch „Das unternehmerische Wir“ die Anforderung, die Prozesse beherrschen zu lernen, deren Autonomie im Gegensatz zur Autonomie der Individuen steht. In der Tat kann man dabei die Teamprozesse als den Ausgangspunkt wählen, weil die Beziehungen zwischen den Teams (als zu analysierende Rahmenbedingungen) in die Teams hineinwirken und daher im Rahmen der Teamanalyse mehr und mehr sichtbar werden. Es gehen dadurch – je intensiver man mit dieser Teamanalyase umzugehen lernt – immer mehr Rahmenbedingungen in die Analyse ein, auf die sich die Kolleginnen und Kollegen in der Teamanalyse zu beziehen. Das Team wird so als die Keimform der gemeinsam wahrgenommenen Unternehmerfunktion betrachtet. Die Konzentration auf Teams ergibt sich deswegen, weil da die Bearbeitung der Beziehungen in der Zusammenarbeit von den Unternehmensleitungen gefordert wird. Daher kann man im Rahmen der Bearbeitung der eigenen Beziehungen den Spieß umzudrehen lernen. Deswegen ist in „Das unternehmerische Wir“ das Team der Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit der indirekten Steuerung. Das schließt selbstverständlich andere Ebenen der Auseinandersetzung nicht aus. Es geht im Buch „Das unternehmerische Wir“ auch darum, praktische Ansatzpunkte vorzuschlagen, anhand derer die Kolleginnen und Kollegen sich mit indirekter Steuerung auseinandersetzen können, die sich nicht auf das Abwarten beschränken wollen. 5. Der eigentliche Dissens aber ist die Frage: Wem kommt die Unternehmerfunktion zu? Hier votiert Klaus Peters eindeutig dafür, dass den einzelnen Individuen – und nur diesen – diese Funktion zukomme. Das wird im Buch „Das unternehmerische Wir“ anders gesehen. Denn ohne Unternehmen keine Unternehmerfunktion. Unternehmen aber sind in kapitalistischen Gesellschaften Etablissements, in denen gesellschaftlich gearbeitet wird, deren Produkte aber individuell angeeignet werden. Die gesellschaftliche Arbeit in diesen Etablissements zu organisieren und auf die gesamtgesellschaftliche zahlungskräftige Nachfrage hin zu orientieren, ist die Aufgabe des als Unternehmer fungierenden Kapitalisten. Im Unternehmer findet sich die Person, die einerseits die Kapitalfunktion in der Produktion (also die Ausbeutung der Beschäftigten) organisiert. Sie sorgt dafür, dass die Produkte – oder Dienstleistungen möglichst profitabel erbracht wird. Andererseits orientiert sie die gemeinsame gesellschaftliche Arbeit im Unternehmen an den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen diese Arbeit stattfindet, nämlich dass sich für die Produkte – oder Dienstleistungen Käufer finden müssen. In der Figur des Unternehmers kommen diese beiden Aspekte zusammen, weil und insofern in der kapitalistischen Gesellschaft der gesellschaftliche Sinn der Produktion – und der Dienstleistung – vorausgesetzt ist, nämlich der Profit. Schon im Kapitalismus ist es aber nicht zwingend, dass diese Funktion von Individuen wahrgenommen muss. Im Gegenteil setzen große Unternehmen in dieser Funktion wiederum auf Teams, die gemeinsam die Unternehmensleitung übernehmen. Das tun sie selbstverständlich nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse der Eigentümer der Unternehmen. Für die Beschäftigten ist es nicht zwingend notwendig, dass die gesellschaftliche Funktion, die in der Zusammenarbeit bedient wird, nur dann und in dem Maße sinnvoll ist, wie sie profitabel ist. Durch die indirekte Steuerung wird dieses Kriterium aber als das einzig entscheidende Kriterium praktisch durchgesetzt. In dem Maße, wie sich die Kolleginnen und Kollegen mit der indirekten Steuerung auseinandersetzen, stellen sich auch andere Kriterien ein, die die Reflexion der eigenen Arbeit in der gemeinsamen Arbeit bestimmen können. Freilich müssen diese anderen Kriterien gemeinsam erarbeitet werden. Dann können auch die Interessen und Rechte der Kolleginnen und Kollegen sich zu Kriterien entwickeln, anhand derer die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit gemessen werden kann. Anders formuliert: Wenn die Kolleginnen und Kollegen lernen, bewusst mit der Unternehmerfunktion umzugehen, können sie das auch so lernen, dass sie das für sich gut machen – nicht nur für das Unternehmen. Dann werden sich die beide Aspekte der Unternehmerfunktion (Profitmaximierung und Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse) mehr und mehr auseinanderentwickeln. Es werden andere Kriterien der gesellschaftlichen Produktion in den Vordergrund treten, zunächst unmittelbare, wie die Gesundheit und die Rechte der Kolleginnen und Kollegen, dann aber auch die gesellschaftlichen Kriterien wie Erhalt der natürlichen Lebensbedingungen der Menschheit, soziale Rechte, Emanzipation der Frauen und Männer, Probleme der Entwicklung und der globalen Versorgung der Menschen mit dem, was sie zum Leben brauchen usw. Diesen Prozess mit einigen Gedanken mit anzustoßen, das ist die Funktion der Analysen, die das Buch „Das unternehmerische Wir“ bereitstellt. 6. Deswegen wird in dem Buch darauf abgestellt, dass die Unternehmerfunktion nicht in erster Linie Individuen übertragen wird. Denn Unternehmen gibt es nur als Form der Zusammenarbeit. Die Kolleginnen und Kollegen arbeiten in einem Unternehmen nicht freiwillig zusammen, sondern weil sie ihre Arbeitskraft demselben Unternehmen verkauft haben – ein Schritt, zu dem sie gezwungen sind, weil sie sich Geld verdienen müssen, um sich die erforderlichen Lebensmittel zu erwerben. Was sie zusammenführt, ist das kapitalistische Unternehmen. Daher sind ihre Beziehungen – zumindest zunächst – ein Material, das den Unternehmensleitungen zur indirekten Steuerung zur Verfügung steht, solange sich die Kolleginnen und Kollegen selbst darum nicht kümmern. Und sie können das nur gemeinsam und organisiert tun. Mit der Organisation der Arbeit durch den Arbeitgeber können sich die Kolleginnen und Kollegen nur organisiert zur Wehr setzen und behaupten. Deswegen ist gewerkschaftliche Organisation das A und O in der Auseinandersetzung mit der indirekten Steuerung. Früher – im Anfang der Auseinandersetzung mit der indirekten Steuerung – war es angemessen, die Verständigung über die eigenen Interessen in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu rücken, und auch hervorzuheben, dass das selbst schon eine politische Aktion ist. Das ist auch heute noch richtig. Aber es ist nicht die Position des Buchs „Das unternehmerische Wir“, dass dies die einzige politische Reaktion sein kann – oder gar, dass sie ausreicht. In der Tat: Das Buch fordert die Kolleginnen und Kollegen auf, gemeinsam zu lernen, wie sie ihre Interessen in der Gewerkschaft gemeinsam (denn nur so geht das) in die eigenen Hände nehmen können. Gemeinsame Überzeugung war es, dass es darauf ankomme, die Fähigkeiten, die im Rahmen des neuen Schritts in der Produktivkraftentwicklung von den Kolleginnen und Kollegen entfaltet werden, zur Stärkung der gewerkschaftlichen Interessenvertretung der Kolleginnen und Kollegen zu nutzen. Diese Gedanken versucht das Buch „Das unternehmerische Wir“ aufzugreifen und umzusetzen. Diese Position ist aus meiner Sicht von elementarer Bedeutung! 7. Die Kolleginnen und Kollegen nehmen gemeinsam – oder auch je nach Sichtweise einzeln -, die Unternehmerfunktion (im Interesse des Eigentümers des Unternehmens) wahr. Dann geht es doch letzten Endes um eine ganz einfache Frage: Sollen die Kolleginnen und Kollegen es lernen, die Unternehmerfunktion in ihrem eigenen Interesse gemeinsam wahrzunehmen – und sie so als Unternehmerfunktion überwinden und zu einer Funktion ihrer gesellschaftlichen Zusammenarbeit zu machen – oder sollen sie das sein lassen und sich darauf verlassen, dass sich ihr Verhalten von selbst ändert, wenn sie nur begreifen, was sie tun? Es wäre fatal, sich mit dieser Frage nicht auseinander zu setzten! Es ist sinnvoll, zu bestimmen, was eine Unternehmerfunktion ist. Man kann der Frage nachgehen, was daraus resultiert, wenn die Kolleginnen und Kollegen die indirekte Steuerung begriffen haben. Die Unternehmerfunktion macht es möglich, dass die Kolleginnen und Kollegen aus ihrer Arbeit Perspektiven für die Zukunft einer demokratischen Gesellschaft entwickeln. Und es muss auch möglich sein zu durchdenken, wie die individuelle Freiheit im Rahmen einer gesellschaftlichen Produktion aussehen soll. Diese wesentlichen Punkte dürfen nicht unbeachtet oder gar offen gelassen werden. Noch schlimmer wäre aus meiner Sicht ein „Abwarten“. Daher hat das Buch „Das unternehmerische Wir“ Vorschläge gemacht. Die sind sicher nicht ausreichend. Die Frage ist: Gehen sie in die richtige Richtung? Sachliche Kritik ist mir auch daher immer gerne willkommen. Bleiben wir im Gespräch.
Stephan Siemens